Weimar, Desau, Bernau: Von der Provinz in die Welt
Bauhaus-Stätten. Überblick
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts revolutionierte das Bauhaus die Kunst und die Welt, in der wir leben: Gebäude, Möbel oder Geschirr im „Bauhausstil“ stehen im Ruf, funktional und schnörkellos sein. An das Bauhaus erinnern drei Welterbestätten, die jeweils aus mehreren Gebäuden bestehen:
in Weimar (Thüringen; UNESCO-Weltkulturerbe seit 1996),
in Dessau (Sachsen-Anhalt; UNESCO-Weltkulturerbe seit 1996),
in Bernau bei Berlin (Brandenburg; UNESCO-Weltkulturerbe seit 2017).
Bauhaus-Stätten. Karte
1. Bauhaus-Stätte Weimar
In Weimar (65.000 Einw.) entstand das Bauhaus. Dort gab es zwei Schulen: die Kunstschule und die Kunstgewerbeschule. Beide leitete der Belgier Henry van der Velde (1863–1957). Er entwarf die Schulgebäude, wohnte und lehrte dort. Sein Nachfolger war Walter Gropius, der beide Schulen – und somit Kunst und Handwerk! – fusionierte und in „Bauhaus“ umbenannte. Die Bauhausstätte Weimar umfasst drei Gebäude:
das Kunstschulgebäude („Ateliergebäude“, 1904–10, Henry van de Velde),
der gegenüberliegende Kunstgewerbeschulbau („Van-de-Velde-Bau“, 1905–06, Henry van de Velde),
das Musterhaus „Am Horn“ (1923, Georg Muche), erbaut zur Bauhaus-Ausstellung.
Südlich der Altstadt von Weimar liegt das Universitätsviertel. Die Geschwister-Scholl-Straße weitet sich zu einem Platz, an dem zwei der drei Gebäude stehen:
Kunstschulgebäude
Das Foto oben zeigt den Blick (vom Kunstgewerbeschulbau) über den Platz nach Südosten auf das Kunstschulgebäude. Die großen Fenster belichten die Atelierräume blendungsfrei, da sie sich an der Nordseite befinden. Das Gebäude wird nach den Räumen auch „Ateliergebäude“ genannt. Heute nutzt die Fakultät für Architektur und Urbanistik das Gebäude. Webseite: https://www.uni-weimar.de/de/universitaet/profil/unesco-welterbe/hauptgebaeude/
Modell des Gropius-Zimmers im Bauhausgebäude Dessau. Gemeinfrei, Link
Direktorenzimmer/Gropius-Zimmer
Ein besonderes Atelier war das Gropius-Zimmer (bzw. DIrektorenzimmer). Es handelt sich um einen würfelförmigen Raum (5 m Seitenlänge) im 1. Obergeschoss, den man für die erste Bauhauaustellung 1923 einrichtete. Auf dem Boden lag ein bunter quadratischer Teppich, den Benitta Koch-Otte entwarf. Das Gropius-Zimmer wurde 1999 rekonstruiert und mit Möbeln ausgestattet, die 1923 nicht vorhanden waren. (Foto siehe hier.) Das Foto links zeigt ein Modell eines anderen Gropius-Zimmers (nämlich im Bauhausgebäude Dessau). Der gelbe Sessel und der braune Schreibtisch standen auch in Weimar.
Zu den Sehenswürdigkeiten im Inneren zählt u. a. das Treppenhaus mit der (1980 rekonstruierten) Wandmalerei von Oskar Schlemmer (1888–1943). Das Bild entstand anlässlich der Bauhausstellung 1923. Schlemmer arbeitete am Bauhaus als Dozent für Malerei.
Das dritte Bauwerk des UNESCO-Welterbes in Weimar steht weiter östlich, auf der anderen Seite der Ilm, die durch den Ilmpark fließt.
Musterhaus "Am Horn"
Das weltweit erste Haus im Bauhausstil steht in Weimar. Das Musterhaus „Am Horn“ wurde für die Bauhausausstellung 1923 am Südende der Straße „Am Horn“ errichtet. Es diente als eine von drei Ausstellungsstätten. Der Entwurf stammt von dem Maler Georg Muche, die Ausführung lag bei den Architekten Walter March und Adolf Meyer. An der Planung der Inneneinrichtung waren zahlreiche Studierende beteiligt. Die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands von Haus und Garten wurde 2021 mit dem Europa-Nostra-Preis ausgezeichnet. Webseite: https://www.klassik-stiftung.de/haus-am-horn/
2. Bauhaus-Stätte Dessau
1926 zog das Bauhaus nach Dessau, heute Dessau-Roßlau (79.000 Einw.). Das Bauhaus wurde staatlich anerkannt und änderte den Namen in „Hochschule für Gestaltung“. Zur Bauhausstätte Dessau zählen:
die Bauhausschule in Dessau-Roßlau (1925–26, Walter Gropius), bestehend aus Verwaltungs- und Werkstattgebäuden sowie dem Ateliergebäude (Webseite: https://www.bauhaus-dessau.de/besuch/tickets/),
vier nach den Bewohnern benannte Meisterhäuser: Kandinsky/Klee, Muche/Schlemmer, Moholy-Nagy/Feininger und Gropius. Die zwei letztgenannten, im Krieg zerstört, hat David Chipperfield rekonstruiert.
Haus Gropius ist eines der Meisterhäuser, die David Chipperfield rekonstruiert hat.
Laubenganghäuser
Die Laubenganghäuser und die Häuser der Siedlung Törten sind ganz normale Wohnhäuser.
3. Bauhaus-Stätte Bernau: Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes
Die ADGB-Bundesschule befindet sich nordwestlich der Stadt Bernau bei Berlin (41.000 Einw.). Die Schule wurde 1928–30 in einem Waldgebiet erbaut. Die Pläne stammen von dem Schweizer Hannes Meyer (1889–1954), der 1928 auf Gropius als Bauhausleiter folgte, Hans Wittwer (1894–1952) undStudierenden (u. a. Arieh Sharon, siehe unten). Der Schulkomplex besteht aus drei Bereichen:
Im Süden stehen die Lehrerhäuser und ein Nebenbau (zweigeschossige Reihenhäuser; siehe Foto unten links).
Im Norden reihen sich die drei Internatshäuser und die Bibliothek zwischen Empfangsgebäude (u.a. mit Speisesaal) im Südwesten und Sporthalle (mit Seminarräumen) im Nordosten.
Südöstlich der Schule liegen ein Teich inmitten eines Wäldchens, ein Freibad und eine Wettkampfbahn.
Das Welterbe dient immer noch als Schule (Oberstufenzentrum I Barnim). Führungen (real oder virtuell) und Workshops werden im Besucherzentrum (2022, Steimle Architekten) angeboten. Webseite: https://www.welterbe-bernau.de/
Warum ist das Bauhaus UNESCO-Weltkulturerbe?
Die UNESCO hat die Bauhausstätten in Weimar, Dessau und Bernau zum Weltkulturerbe erklärt, weil drei (von sechs) Weltkulturerbe-Kriterien erfüllt sind (Übersetzung durch das Auswärtige Amt):
„Kriterium (ii):Die Bauhausbauten in Weimar, Dessau und Bernau sind zentraleWerkedermoderneneuropäischenKunstundverkörperneinaufdieradikaleErneuerung von Architektur und Design ausgerichtetes avantgardistisches Konzept auf einzigartige und äußerst einflussreiche Weise. Sie zeugen von der aufblühendenModerne, die hier ihren Anfang nahm und weltweite Wirkung entfaltete.
Kriterium (iv):Das Bauhaus selbst und die anderen von den Bauhausmeistern entworfenen Bauten stehen grundlegend für die klassische Moderne und sind daherbedeutende Zeugnisse des 20. Jahrhunderts. Die Laubenganghäuser in Dessau unddieADGB-BundesschulesindeinzigartigeBeispielefürdenAnspruchdesBauhauses, die Einheit von Praxis und Lehre herzustellen.
Auf den dritten Bauhausleiter folgte ab 1930 als vierter und letzter Leiter der Architekt Mies van der Rohe. Er entwarf zusammen mit Lilly Reich die Villa Tugendhat. Sie wurde 1929–30 für den Fabrikanten Tugendhat erbaut und steht in Brünn/Brno (382.000 Einw.), Tschechiens zweitgrößter Stadt. Webseite: http://www.tugendhat.eu/en/. Im Jahr 2001 erklärte die UNESCO die Villa Tugendhat zum UNESCO-Welterbe (http://whc.unesco.org/en/list/1052).
1932 beschloss der von der NSDAP dominierte Stadtrat Dessau gegen die Stimmen von SPD und KPD, das Bauhaus zu schließen. Mies van der Rohe gründete 1933 in einem Berliner Fabrikgebäude (Ecke Birkbuschstraße 49/Siemensstraße in Berlin-Lankwitz) das Bauhaus als Privatschule, die 1934 ebenfalls schloss. Damit war die Geschichte des Bauhauses aber nicht zu Ende. Im Gegenteil: Viele Bauhaus-Mitglieder emigrierten und trugen dadurch zur internationalen Verbreitung der Bauhaus-Ideen bei.
Weiße Stadt Tel Aviv
Zahlreiche jüdische Architekten flohen aus Deutschland und entwarfen in Tel Aviv die Weiße Stadt mit rund 4.000 Gebäuden. Z. B. war Arieh Sharon (geboren als Ludwig Kurzmann; 1900–84) Bauhaus-Absolvent. Er übernahm die Bauleitung für die ADGB-Schule, heiratete die Bauhausschülerin Gunta Stölz und entwarf den ersten Generalplan für Israel sowie zahlreiche Gebäude, u. a. in der Weißen Stadt.
Allerdings wurden nicht alle Häuser der Weißen Stadt von Bauhaus-Absolventen geplant. Z. B. hatte Dov Karmis (1905–62) in Jerusalem und Belgien studiert. In dem von ihm entworfenen Liebling Haus (Beit Liebling; 1936–37), befindet sich das Welterbe-Informationszentrum (Webseite: https://www.whitecitycenter.org/startseite). 2008 erklärte die UNESCO die Weiße Stadt zum Weltkulturerbe (https://whc.unesco.org/en/list/1096).
Auschwitz
Andere emigrierten nicht, sondern blieben in Deutschland. Ein Beispiel ist der Österreicher Franz Ertl (1908–82). Am Bauhaus Dessau hatte er von 1928–31 studiert. 1938 meldete er sich zur Waffen-SS und war von 1940–43 an Planungen für das KZ Auschwitz (UNESCO-Welterbe in Polen) beteiligt. Die Entwürfe der Baracken stammen von Ertl. Platz und sanitäre Anlagen fehlten, z. B. plante Ertl, jede Baracke mit 550 Gefangenen zu belegen. Die hygienischen Bedingungen waren miserabel, viele Insassen starben an Seuchen. Vgl. https://www.dabonline.de/2011/12/01/tiefpunkt-der-architekturgeschichte/
Bauhaus-Debatte 1953
1953 löste der Kölner Architekt Rudolf Schwarz mit seinem Artikel „Bilde Künstler, rede nicht.“ (Anspielung auf das Goethe-Zitat „Bilde, Künstler, rede nicht.“; 1815) in der Zeitschrift Baukunst und Werkform die sogenannte „Bauhaus-Debatte 1953“ aus. Er kritisierte, teilweise mit heftigen Äußerungen, u. a. den Funktionalismus und Materialismus, den das Bauhaus kennzeichne. Diese vordergründige Bauhaus-Schelte dürfte aber wohl auch – und vor allem – einer anderen Schule gegolten haben, die 1953 eröffnete und quasi die Nachfolge des Bauhauses antrat: die Hochschule für Gestaltung Ulm. Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Bauhaus-Debatte_1953
Bauhaus-Ideen im Ländle. Die Hochschule für Gestaltung Ulm
Die Hochschule für Gestaltung wurde (neben Otto Aichner und Inge Scholl) durch den ehemaligen Bauhaus-Absolventen Max Bill gegründet. Der Bauhaus-Gründer Walter Gropius wirkte beratend und hielt die Eröffnungsrede. Mehrere Bauhaus-Dozenten, z. B. Joseph Albers oder Johannes Itten, wirkten auch in Ulm. Zu den bekanntesten Studenten (allerdings ohne Abschluss) zählt Ferdinand Alexander Porsche, der 1962 den Porsche 911 entwarf. Die Hochschule wurde 1968 geschlossen; das Gebäude (1953–55) steht unter Denkmalschutz und befindet sich direkt neben dem Fort Oberer Kuhberg. Dieses war Teil der Bundesfestung Ulm (Kandidat für das UNESCO-Weltkulturerbe 1984–93). Webseite: https://www.hfg-ulm.de/de/.
Bauhaus Museen
Bauhaus-Archiv
Das Bauhaus-Archiv wurde 1961 durch seinen Gründer Hans Wingler in einem Welterbe eröffnet: im Ernst-Ludwig-Haus (Welterbe Mathildenhöhe Darmstadt). Eigentlich sollte das Archiv in Darmstadt auf der Rosenhöhe erbaut werden. Die Entwürfe lieferte der ehemalige Bauhaus-Leiter Gropius.
Letztenendes entstand das Bauhaus-Archiv 1976–79 in Berlin-Tiergarten, direkt am Landwehrkanal. Gropius‘ Plänen änderte sein Mitarbeiter Alexander Cvijanović für den neuen Standort um. Webseite: http://www.bauhaus.de/
Bauhaus-Museum Weimar
In Weimar informiert das Bauhaus-Museum über die Geschichte des Bauhauses. 2016–19 entstand ein Neubau nach Plänen von Heike Hanada und Benedict Tonon. Webseite: http://www.bauhausmuseumweimar.de/de
UNESCO-Weltkulturerbe in der Nähe der Bauhausstätte Weimar